arrow-left arrow-right nav-arrow Login close contrast download easy-language Facebook Instagram Telegram logo-spe-klein Mail Menue Minus Plus print Search Sound target-blank X YouTube
Inhaltsbereich

Aktuelles

28.03.2021 | Artikel

Caritas, die Altenpflege und das kirchliche Sonderarbeitsrecht

Wolfgang Rose

Caritas, die Altenpflege und das kirchliche Sonderarbeitsrecht

«Erst wurde geklatscht, dann kam die Klatsche» - am 24. Februar stimmte die „Arbeitsrechtliche Kommission“ des Caritasverbandes auf Bundesebene gegen einen Bundestarifvertrag für Altenpflege und verweigerte damit dessen Allgemeinverbindlichkeit. Aber nicht die Pflegekräfte bei der Caritas waren die Opfer dieser Entscheidung, sondern die Beschäftigten bei privaten und kommerziellen Pflegeheimen mit tariflosen Dumpinglöhnen - alleine in Hamburg etwa 6.000. Sie arbeiten ohne Geltung oder Anwendung eines Tarifvertrags und ihre Löhne wären bei einer Allgemeinverbindlichkeit teilweise erheblich angehoben worden. Verhindert wurde dies durch ein Sonderarbeitsrecht von Kirchen, Diakonie und Caritas, mit dem die üblichen Tarifverträge mit Gewerkschaften in eine innerkirchliche Kommission verlegt wurden, die dann über die Allgemeinverbindlichkeit für alle mitentscheiden darf. Dort wurde jetzt entschieden - auf dem Rücken der betroffenen Beschäftigten.

Der Gegenwind gegen diese Entscheidung war heftig: Minister Hubertus Heil: „Bitterer Rückschlag“, CDU-Fraktion: „bedauert“, SPD-Fraktion: „entsetzt“, Grüne: „fatal“, ver.di: „scheinheilig“ und die Caritas-Mitarbeitervertreter: „unsolidarisch“. Sogar 17 katholische Sozialethik-Professoren empörten sich in einer öffentlichen Stellungnahme und «möchten die Beschäftigten ermutigen, ihren 'Dienstgebern' machtvoll entgegenzutreten und die Unterstützung der Caritas für einen einheitlichen Tarifvertrag Altenpflege zu erstreiten».

Der Hintergrund für diesen Konflikt liegt allerdings viel tiefer und holt zugleich einen historischen Geburtsfehler des bundesdeutschen Rechtssystems an das Licht der Öffentlichkeit: das kirchliche Sonderarbeitsrecht, der sogenannte «Dritte Weg». Seit über 70 Jahren keine Betriebsräte, keine Tarifverträge, Kündigung bei Kirchenaustritt oder Scheidung und weitere Anachronismen. Der katholische Theologe und Sozialethiker Bernhard Emunds, einer der Unterzeichner der Ethik-Stellungnahme, bringt es auf den Punkt: «Der Dritte Weg ist am Ende.»

Das «Gallische Dorf» bei Tarifverträgen ist die Nordkirche und ihre Diakonie in Hamburg und Schleswig-Holstein - und vielleicht auch bald in Mecklenburg-Vorpommern. Nach dem 2. Weltkrieg wurden die ersten Tarifverträge zwischen der schleswig-holsteinischen Landeskirche und Gewerkschaften auch als Lehre und „Nie-Wieder-Bündnis“ aus der Erfahrung von Faschismus und Krieg vereinbart. Einige Landeskirchen und diakonischen Einrichtungen haben in den letzten Jahren nachgezogen. Und in der Ev. Stiftung Alsterdorf, der «Mutter der Tarifverträge in der Diakonie», gilt mittlerweile sogar eine Dienstvereinbarung, die für die Beschäftigten die Pflicht zur formalen Kirchenmitgliedschaft durch einen gemeinsamen Diskurs über das Leitbild ihres Sozialunternehmens ersetzt.

Der Geburtsfehler für den «Dritten Weg» war die Auslegung der «Weimarer Reichsverfassung». Nach der Novemberrevolution 1918 erhielten die Kirchen in Art. 137 ihre Selbstbestimmung «innerhalb der Schranken der für alle geltenden Gesetze». Diese Verfassungsvorschrift beinhaltete das Recht der Religionsgemeinschaften, ihre Ämter im Unterschied zur früheren Staatskirche nun ohne Mitwirkung des Staates verleihen. Das Betriebsrätegesetz vom 4. Februar 1920 galt aber selbstverständlich auch für Kirchen, Diakonie und Caritas - einschließlich des Streikrechts. Zum Beispiel gab es damals in Berlin einen Streik der Friedhofsgärtner. Erst die Nationalsozialisten beseitigten 1934 Betriebsräte und Tarife mit dem «Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit». Im öffentlichen Dienst wurde per Gesetz das Prinzip von Führer, Gefolgschaft und Dienstgemeinschaft vorgeschrieben - und die Kirchen beschlossen, das für sich zu übernehmen. «Dienstgemeinschaft» - dieser wohlklingende Begriff hat hier seine historische und ideologische Wurzel.

Nach Ende des 2. Weltkriegs bestanden die Kirchen darauf, nicht wieder in das weltliche Arbeits- und Tarifrecht zurückzukehren, das in der Weimarer Republik noch für sie gegolten hatte. Sie legten nun die Weimarer Reichsverfassung so aus, dass sie anstelle von Betriebsverfassungsgesetz und Tarifverträgen ein eigenes Sonderarbeitsrecht mit innerkirchlichen Mitarbeitervertretungen und Arbeitsrechtlichen Kommissionen anwenden dürfen. Sie nennen es "Dritter Weg". Adenauer wollte sich nicht mit den Kirchen anlegen. Er übernahm nicht nur Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung als Art. 140 in das Grundgesetz, sondern sorgte darüber hinaus dafür, dass Betriebsverfassungsgesetz und Bundespersonalvertretungsgesetz im Unterschied zur Weimarer Republik nicht für die Kirchen galten. Die höchsten Gerichte haben sie dabei in späteren Jahrzehnten weitgehend unterstützt.

Hier schließt sich der Kreis. Tausende tariflos beschäftigte Pflegekräfte in Hamburg und hunderttausende in ganz Deutschland bei den privaten und kommerziellen Trägern haben jetzt die Auswirkungen dieses kirchlichen Sonderarbeitsrechts der Kirchen zu spüren bekommen: Weil die Caritas die Allgemeinverbindlichkeit eines bundesweiten Pflegetarifvertrags abgelehnt - und die Diakonie dann gleich auf die Abstimmung verzichtet und sich einen «weißen Fuß» gemacht hat – werden ihre Löhne nicht angehoben: eine sozial- und gesellschaftspolitische Respektlosigkeit sondergleichen. Wenn der "Dritte Weg" zu einem „Weg zulasten Dritter“ wird, wie jetzt in der Altenpflege, dann ist seine Abschaffung überfällig. In 70 Jahren darf man gerne klüger werden.